Die Bibel besser verstehen
Mehrere Himmel?
Irrtümer der Bibelauslegung - Teil 13
(Teil 14 folgt im April 2023)
Die Bibel ist ein Buch, dessen Texte Jahrtausende alt sind und doch sprechen diese in unser Leben hinein. Doch beim Lesen der Bibel stehen wir vor der Herausforderung diese uralten Texte richtig auszulegen. Das kann durch Veränderungen in der Sprache, Kultur und meiner eigenen Lebenssituation eine echte Herausforderung werden. Diese Artikelreihe geht auf gebräuchliche Irrtümer der Bibelauslegung ein.
Deutschsprachige Bibelleser haben ein mächtiges Werkzeug bei ihrer persönlichen Bibelauslegung zur Hand: Der Vergleich unterschiedlicher Bibelübersetzungen.
Diese können wir nebeneinander legen, falls wir mehrere Bibeln im Bücherregal stehen haben oder einfach bequem parallel auf dem Bildschirm darstellen, wenn wir www.bibleserver.com nutzen. Das hilft beim Bibelauslegen sehr, denn wir sollten uns bewusst sein, dass der ursprüngliche Bibeltext eben nicht in Deutsch geschrieben wurde.
Was einerseits ein sehr hilfreiches Tool sein kann, führt andererseits manchmal auch zu Irritationen, Spekulationen und Irrtümern, weil die Übersetzungen so unterschiedlich sind.
Jeder, der schon einmal eine Fremdsprache gelernt hat, kennt dieses Phänomen:
Es gibt unterschiedliche Wege, den Sinn in die zu übersetzende Sprache zu übertragen.So stößt der Bibelleser der Elberfelder Übersetzung beim Vater Unser plötzlich auf folgende Aussagen:
„Betet ihr nun so: Unser Vater, der du bist in den Himmeln, geheiligt werde dein Name (Matthäus 6,9) ...“ und fragt sich, ob es verschiedene Himmel gibt?
Was meint Jesus damit? Wenn es verschiedene Himmel gäbe:
Welche Bedeutung haben sie? Ist das zu vergleichen mit unserem
Sprichwort, dass jemand im siebenten Himmel schwebt?
Um diese Frage zu klären, gehen wir am besten in den ersten Vers der Bibel, wo der Schreiber sagt:
„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde (1.Mose 1,1).“
Wenn wir hier das Original betrachten, stellen wir fest, dass für das Wort ‚Himmel‘ die Mehrzahlform („Plural“) verwendet wird, also ‚die Himmel‘ statt ‚der Himmel‘.
Hier ist festzuhalten, dass im Hebräischen, der ursprünglichen Sprache des Alten Testaments, es ‚den Himmel‘ gar nicht gibt.
Das Wort steht immer im Plural. Steckte da eine Aussage hinter? Ja und nein. Zuerst einmal ist es einfach eine sprachliche Eigenart. Wir können das mit dem deutschen Wort ‚Ferien‘ vergleichen, das auch immer im Plural steht, selbst dann, wenn die Ferien nur einen Tag dauern.
Und doch wird durch den Plural etwas ausgedrückt, nämlich, dass der Himmel dermaßen groß und beeindruckend ist, dass er einfach nur durch einen Plural ausgedrückt werden kann. Daran hat man im Alltag natürlich oft nicht mehr gedacht.
„Moment!“, denkt der Leser jetzt vielleicht, „Die Aussage vom Vater Unser ist aber nicht im Hebräischen, sondern in griechisch verfasst, und das Griechisch kennt den Himmel im Singular.“
Das stimmt natürlich, doch müssen wir bedenken, dass für die Schreiber der neutestamentlichen Texte das Griechische eine Fremdsprache war.
Ihre Muttersprache war Aramäisch, eine dem
Hebräischen sehr ähnliche Sprache. Wenn sie nun von ‚Himmeln‘ reden, übernehmen sie bewusst oder unbewusst einfach die Eigenarten ihrer Muttersprache.
Ein Deutscher, der fließend Englisch spricht, kann meist dann doch an Wortstellung und Ausdrucksweise als Deutscher erkannt werden.
Ähnlich ist es bei den neutestamentlichen Schreibern.
„Aber redet Paulus nicht vom ‚dritten Himmel‘?“, könnte ein Einwand lauten (vgl. 2.Korinther 12,2).
Dieser ist berechtigt, doch wäre es wohl nicht die beste Entscheidung über 600 Bibelstellen, in denen wir den grammatischen Plural trotz einer Singular-Bedeutung haben, wegen dieser einen Bibelstelle, die insgesamt ohnehin etwas speziell ist, eine neue Bedeutung zu geben.
Paulus nutzt den ‚dritten Himmel‘ vielleicht einfach nur auch als Metapher für seinen Zustand. Da sollte man nicht zu viel hineinlegen.
Was können wir für unser Bibellesen festhalten?
Der Vergleich von Bibelübersetzungen hilft uns
beim Verstehen. Selbst dann, wenn dieser Vergleich uns zuerst einmal irritiert, bring er uns mittelfristig auf die richtige Spur, um Gottes Botschaft noch tiefer zu begreifen.
Marc Pietrzik - Pastor